Sonntag, 30. März 2014

Sonntags: 10 von 10.

Zehn gute bzw. schlechte Dinge, die in dieser Woche passiert sind

Diesmal :
Sechs Gute Dinge:
1 habe viel gebloggt


2 keine Termine gehabt
3 mich etwas ausgeruht
4 mit Greta Straßen überqueren geübt und dabei Spaß gehabt




5 die ganze Woche kein Kleinkind-Trotzanfall, an den ich mich jetzt noch erinnern könnte
6 habe Herrn Socke eingeführt, der Greta jetzt jeden Morgen anzieht (statt 20 Minuten Gezerre und Diskussionen über die Tauglichkeit eines Schneeanzugs bei Temperaturen zwischen 10 und 20 Grad, ein bisschen Puppentheater und in fünf Minuten trägt meine Tochter, was ich ihr gerne anziehen will. Juchu!) (Vgl. dazu Bohlmann: Ein Löffelchen voll Zucker ... und was bitter ist, wird süß! Das Mary Poppins - Prinzip)


 
Vier Schlechte Dinge:
1 habe einen furchtbaren Reizhusten gehabt, der mich nicht gut schlafen ließ 



2 bin jeden Morgen um sechs aufgestanden, weil die Kinder so früh wach waren
3 habe keine Nacht durchgeschlafen, weil Lilli auch hustete und auch nicht gut schlafen konnte

4 und mich über Gretas Kindergärtnerin geärgert. Seit sechs Monaten bringe ich Greta in den Kindergarten. Und jeden einzelnen Morgen bastelt die Erzieherin oder hakt Listen ab, sodass ich jeden einzelnen Morgen das Gefühl habe, sie zu stören, wenn ich ihr mein Kind übergeben will. Diese Woche Mittwoch schließlich der Gipfel: Sie sagte, sie müsse jetzt für eine Kindergartenaufführung Flöte üben und könne Greta daher nicht auf den Arm nehmen. 




    Freitag, 28. März 2014

    Von Luftballons, humorlosen Mamas und mangelnder elterlicher Konsequenz


    Luftballons sind bunt. Sie sind lustig. Sie sind überall in der Stadt. Immer ist irgendwo ein kleiner Werbestand, an dem jemand steht und Luftballons verteilt. An Kinder. An meine Kinder zum Beispiel. Gott sei Dank bekommt Lilli bisher noch keine Luftballons angeboten. Aber Greta.

    Kurz vor der Wahl muss ich meiner dreieinhalbjährigen Tochter erklären, dass der gelbe Luftballon mit den drei blauen Buchstaben darauf ja hübsch aussehen mag, dass ich aber nicht damit in der ganzen Stadt herumlaufen will.
    Zunächst sage ich aber einfach nur: "Nein! Wir wollen keinen Luftballon!" zu dem Mann am Wahlwerbestand.
    "Warum wollen wir keinen Luftballon?", fragt Greta. "Die sind doch lustig."
    "Da steht was drauf, Greta. Das ist der Luftballon von einer Gruppe von Menschen, die die Bestimmer sein wollen in unserer Stadt. Und die wollen, dass Mama und Papa die wählen, damit sie das machen können: bestimmen oder zumindest mitbestimmen", erkläre ich ihr.
    "Ich will der Bestimmer sein", sagt Greta.
    "In unserer Stadt?", frage ich.
    "Ja," sagt Greta, "und bei uns zu Hause."

    Wahrscheinlich habe ich keinen Humor. Ich mag keine Luftballons - wie so viele Dinge und Menschen, die lustig sind. Louis de Funes, Bastian Pastewka, Cindy Marzahn. Finde ich nicht lustig. Die Fernsehsendung "Bitte Lächeln" hasse ich. Kennt wahrscheinlich keiner mehr. Ständig fielen irgendwelche Kinder irgendwo runter und man fragte sich, ob sie es überlebt hatten. Aber dann war der lustige Videoclip ja auch schon beendet. "Wer soll da lachen?", fragte ich mich da immer.

    Mein Mann hat Humor. Meine Kinder auch. In unserer Wohnung liegen also immer Luftballons herum. Mindestens drei. Aufgeblasen. Lilli findet sie lustig. Greta findet sie lustig. Mein Mann auch. Abgesehen davon, dass Luftballons mich an Kindergeburtstage erinnern und ich auch die nur bedingt lustig finde, machen sie leider auch viel unnötige Arbeit. Mamaarbeit.
    Die bunten lustigen Luftballons kommen meistens in einer kleinen Tüte in die Wohnung, die mindestens einmal, meistens aber deutlich öfter auf den Boden fällt. Und wer sammelt die lustigen kleinen Luftballons dann auf? Mama.
    An langweiligen Nachmittagen werden sie von meinem Mann für die Kinder aufgepustet. Natürlich platzt plötzlich einer und dann schreit eines unserer Kinder, weil es sich ganz furchtbar erschreckt hat. Und wer tröstet das Kind? Mama.
    Schließlich liegen diese Luftballonreste auf dem Boden. Die sehen nicht mehr lustig aus, nicht einmal für Leute mit Humor. Und Lilli liebt es, sich die Dinger in den Mund zu stecken. Und wer holt die da ganz schnell wieder heraus? Mama.
     Und wenn der Luftballon nicht platzt? Dann geht die Luft raus. Langsam, ganz langsam. Und nach ein paar Wochen sieht das Ding nur noch traurig aus. Und dann holt Mama heimlich eine Schere und macht ihn kaputt den alten Luftballon. Schmeißt ihn weg. Tut sie es schon, bevor der Luftballon alt und welk aussieht, hat sie natürlich ein schlechtes Gewissen die Mama. Ist ja auch gemein. Wo Luftballons doch so lustig sind.
     
    Neulich wollte ein Mann meiner Tochter einen roten Luftballon schenken. Es war schon fast dunkel. Wir waren allein unterwegs und der Mann machte mir Angst. Ich zog Greta also weiter und sagte, sie dürfe den Luftballon nicht annehmen.
    "Da stand aber gar nichts drauf", sagt Greta. "Der wollte gar nicht der Bestimmer sein."
    "Ja", sage ich leise, "aber wir nehmen nichts von Menschen an, die wir nicht kennen."
    Der Mann, den wir nicht kannten, verlor in der Zwischenzeit völlig die Fassung. Nachdem ich meine Tochter weitergezogen hatte, fing er an wild mit dem Luftballon in der Luft herumzufuchteln und ganz laut zu schreien. Was er geschrien hat, weiß ich nicht. Es war laut und verrückt und ziemlich bedrohlich. 

    Einen Tag später ging ich mit Greta wieder durch die Fußgängerzone. Eine Frau kam nach Ladenschluss aus der Yves Saint Laurent Filiale bei uns um die Ecke. Sie drückte meiner Tochter einen grünen Luftballon in der Hand. "Sind noch übrig von der Dekoration", sagt sie mir. Die Frau hatte ein  sympathisches Lächeln und ging in die Knie, um meiner Tochter den Luftballon zu geben.
    "Was sagt man da?", flüsterte ich meiner Tochter zu.
    "Danke!", sagte sie und zog fröhlich mit dem Luftballon davon.
    Und als die Frau schon wieder im Laden war, fragt sie: "Warum durfte ich den Luftballon haben, Mama?".
    "Weil du Danke gesagt hast", antwortete ich, während ich über das Abendessen nachdachte.
     "Aber da stand was drauf", sagte Greta.
    "Ja", antwortete ich, "aber die wollen nicht der Bestimmer sein."
    "Ich habe nicht gebettelt", sagte Greta.
     "Nein", sagte ich, immer noch über das Abendessen nachdenkend," das hast du sehr gut gemacht."
    "Aber wir kannten die Frau nicht", sagte Greta.
     Ich hasse Luftballons.

    Dienstag, 25. März 2014

    Wie ich zu einer Helikoptermama wurde


    Ich wollte nie eine Helikoptermama sein. Greta sollte frei sein. Das Kind sollte klettern, laufen, Sand essen und mit anderen Menschen Kontakt aufnehmen. Und ich wollte mich nur dann einmischen, wenn wirklich etwas schief lief.
    "Die Kinder probieren nur, was sie auch wirklich können", sagte Anna.
    Anna war die Leiterin einer Kinderkrippe, die sich in ihrem Erziehungskonzept sehr an Emmi Pikler orientierte. "Man muss sie möglichst selbstständig ihre Erfahrungen machen lassen", fügte sie hinzu. "Gut", dachte ich,"die Einstellung gefällt mir." Außerdem war die Krippe toll und Anna erfahren. Anmeldebogen ausgefüllt. Krippenplatz bekommen. Kind liebevoll eingewöhnt. Das Kind fühlte sich wohl. Lachte viel. Lernte viel. Alles gut.
    Im Sommer, zwei Wochen nach Gretas Krippenstart, kam der erste Anruf aus der Kinderkrippe: "Dein Kind ist von der Treppe gefallen. Es war nicht hoch. Aber, ....kannst du mal vorbeikommen?" Ich kam vorbei und fand meine Tochter friedlich schlafend in ihrem Bettchen vor. Um sicherzugehen und das Kind besser beobachten zu können, weckte ich sie auf und nahm sie mit nach Hause. Kind beobachtet. Kein Erbrechen. Alles gut.
    Im Herbst, zwei Monate nach Gretas Krippenstart, kam der nächste Anruf aus der Kinderkrippe:"Dein Kind hat ein Loch im Kopf. Kannst du mal kommen? Wir haben schon die Rettung verständigt."
    Die Rettung verständigt. Ein Loch im Kopf. Panik. Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass mein Bruder Marc auch einmal ein Loch im Kopf gehabt hatte. Dass meine Mutter immer davon erzählt hatte. Und dass alles gut gegangen war. Also ruhig bleiben. Keine Panik. Auto holen. Schlimme Befürchtungen verdrängen. Zum Kind. Schnell. Am Spielplatz angekommen, wo die Kinderkrippenkinder gespielt hatten, bevor Greta sich verletzt hatte, bot sich ein für mich schreckliches Bild.
    Mein kleines Mädchen, heulend, blutüberströmt in den Armen einer völlig verschreckten Erzieherin. Ich nahm Greta auf den Arm und fragte, was passiert sei. "Sie ist gegen einen Stein gefallen", sagte Heidi, ihre Erzieherin. "Ach, das hätte auch bei uns passieren können", sagte ich, um die Erzieherin zu beruhigen und wartete auf die Rettung.
    Greta lief das Blut von der Stirn ins linke Auge. In ihrer Stirn klaffte ein großes Loch. Ein großes Loch, aus dem mehr und mehr Blut rann.
    "Hoffentlich ist es nicht schlimm. Hoffentlich ist das Loch nicht tief. Hoffentlich ist nichts am Auge", dachte ich. Zu meiner weinenden Tochter sagte ich nur: "Die Mama ist da. Alles wird gut."
    Dann kamen die Sanitäter. "Ist das was Schlimmes? Wird das bleibende Folgen haben", fragte ich. "Wahrscheinlich nicht. Sieht nach einer Platzwunde aus", war die Antwort. Kind ins Krankenhaus gebracht. Kleine Spritze. Loch genäht. Nix gemerkt. Alles gut.
    Eine Woche später Kind zu Hause auf den Hochstuhl geklettert. Heruntergefallen. Erbrechen. Krankenhaus. Untersuchung. Gehirnerschütterung. Kind beobachtet. Alles gut.
    Und nochmal ein paar Wochen später: Kind vom Sofa gefallen. Wieder Erbrechen. Wieder Krankenhaus. Wieder Gehirnerschütterung. Kind beobachtet. Nix gemerkt. Alles gut.

    Ein paar Monat später- der nächste Anruf aus der Kinderkrippe: "Dein Kind hat eine Kastanie gegessen. Kannst du mal beim Giftnotruf anrufen?"
    Giftnotruf angerufen.
     "Wie alt ist das Kind?", fragte der Mann vom Giftnotruf.
    "18 Monate", antwortete ich.
    "Hat es die Kastanie ganz gegessen oder nur davon abgebissen?", fragte der Mann vom Giftnotruf.
    "Das weiß ich nicht", antwortete ich, "Es war doch in der Kinderkrippe."
    "Dann fragen sie es doch", sagte der Mann vom Giftnotruf.
    "Greta, hast du die Kastanie ganz gegessen?", fragte ich meine Tochter. Diese sah mich mit großen Augen an.
    "Sie ist 18 Monate alt", sagte ich dem Mann vom Giftnotruf. "Da bekommt man keine verlässlichen Antworten."
     Der Mann vom Giftnotruf wollte wissen, ob es eine frische Kastanie gewesen sei. Es war Mai.
     "Nein, sicher keine frische Kastanie", antwortete ich. Heimlich fragte ich mich, ob der Mann vom Giftnotruf wohl einen festen Fragenkatalog abarbeitete oder wirklich über den Fall nachdachte.
    Schließlich, als der Mann alle Fragen gestellt hatte, sagte er, dass es wahrscheinlich nicht schlimm sei und dass die Kastanie auf natürlichem Weg wieder ans Tageslicht kommen würde.
    Nach dem Telefonat fragte ich Greta noch einmal ganz ruhig nach der Kastanie.
    "Lea. Kastanie esst", sagt Greta. Lea war ihre beste Freundin aus der Krippe. Ich rief also nochmal in der Krippe an und fragte nach. "Nein. Das war Greta. Definitiv!", sagte die Erzieherin. "Dein Kind macht die verrücktesten Sachen. Wir hatten hier noch nie ein Kind, das eine Kastanie gegessen hat!" Ich glaubte ihr. Die Krippe war gut und Greta machte wirklich verrückte Sachen.
    Die Kastanie tauchte wieder auf. Drei Tage später. Und es war Greta gewesen, die die Kastanie gegessen hatte. Definitiv.
    Ich wurde zur Helikoptermama. Es half nichts. Greta tat leider nicht nur, was sie schon konnte. Sie kletterte auf dem Spielplatz auf das höchste Gerüst und kam dann nicht mehr herunter.



    Sie lief manchmal davon, um einen Hund oder eine Taube zu verfolgen. Oder sie wollte einfach nur mal zum Brunnen gehen, wie sie mir sagte: "Greta. Brunnen. Geht."
    Das Kind schien keine Angst zu haben. Und ich wollte nicht alle zwei Wochen mit meinem Kind ins  Krankenhaus fahren. Noch ein paar Unfälle und wir würden dort persönlich begrüßt.
    Also lief Greta. So schnell sie konnte. Und ich hinterher. Dem Hund nach. Der Taube nach. Zum Brunnen. Also steckte sie sich alle möglichen Dinge in den Mund. Und ich zog alles Mögliche noch einmal heraus, um nachzusehen, ob es genießbar war.
    Sie ist noch immer sehr mutig, meine Große. Zum Glück aber mit der Zeit - und den Verletzungen - ein bisschen vernünftiger geworden. Sie liebt Geschwindigkeit und Höhe. "Mama, schneller!", ruft sie von hinten auf dem Fahrradsitz. "Mama höher!", auf der Schaukel. "Bis zur Sonne und bis zum Mond und zu den Sternen!"
    Auf dem Laufrad ist sie oft zu schnell. Und ich muss es ihr machnmal wegnehmen, weil sie nicht anhält, wenn ich "Stopp!" rufe. 
    Aber immerhin versteht sie jetzt mehr. Wir haben heute geübt. Straßen überqueren. Mit dem Laufrad. "Schau links, schau rechts, schau geradeaus. Dann kommst du sicher gut nach Haus." Greta liebt den Spruch. Und es scheint zu wirken.
    Fahrradfahren darf sie trotzdem vorerst nur bei der Oma. Auf dem Land.



    Donnerstag, 20. März 2014

    Schwestern?!


    Ich habe zwei Brüder. Jünger. Habe mir immer eine Schwester gewünscht. Eine, mit der man Barbie spielen kann. Eine, mit der man über alles reden kann. Eine, mit der man grundlos lachen kann. Eine richtige Schwester eben. Bettina sollte sie heißen.
    Mein jüngster Bruder war gerade geboren, als meine Mutter aus dem Krankenhaus anrief. Sie erzählte mir am Telefon, sie habe eine große Überraschung für mich. "Eine Puppe!", dachte ich. Es war keine Puppe. Auch keine Bettina. Na ja, als Jan dann zu Hause war, war es wie mit den meisten Dingen, die ich in meinem Leben bekommen habe. Einmal ausgepackt, wird es dann doch behalten. Und es war schön mit Jan. Und Puppen spielen konnte man mit ihm auch. Wenigstens eine Zeit lang.
    Als ich zum zweiten Mal schwanger war, habe ich mir ein Mädchen gewünscht. Das soll man nicht. Sich ein bestimmtes Geschlecht für das ungeborene Baby wünschen... Und ja, Hauptsache gesund und so. Greta sollte aber eine Schwester haben. Und ich wurde nicht enttäuscht. Endlich konnte ich teure rosa Strampler kaufen. Für Greta hatte ich fast alles in Unisex Farben gekauft, damit ich es dem möglichen zweiten Baby (einen Jungen hätten wir schließlich auch behalten) dann auch anziehen konnte. Wer mal bei H&M in der Kinderabteilung eine Unisex Jacke gesucht hat, weiß, dass es ganz schön schwierig ist, Kleidung zu bekommen, die man Mädchen und Jungen anziehen kann.
    Jetzt also rosa. Und durchaus auch mal Petit Bateau. Fürs zweite Kind braucht man ja nicht viel, da darfs dann auch mal etwas teurere Vorfreude sein.
    Und dann war sie da. Unsere Lilli. Und ziemlich groß war sie. So groß, dass ihr die viel zu teuren französischen Strampler vielleicht zwei Wochen passten.
    Und Greta? War durch den Wind. Sie hatte ja auch gerade ein Baby bekommen. Paula, 33 cm, von der Oma, während ich im Krankenhaus war, für Greta gekauft. Eine Woche lang trug Greta ihre neue Puppe in einer eigenen Puppenmaxicosi durch die Stadt. Danach durfte Paula allerdings nicht mal mehr bei ihr im Zimmer schlafen. "Die ist blöd, die Paula!", rief sie. "Die hab ich nicht lieb. Die darf nicht bei mir schlafen". Und dann flog die kleine Puppe in hohem Bogen aus der Tür. Der Oma habe ich das nicht erzählt. Dafür Carola, meiner Hebamme, Mutter von drei Kindern und einfach wunderbar. Carola rief ich auch an, als Greta eines Tages spät abends auf ihre kleine Schwester stieg. Mit voller Absicht. Mit dem Gewicht einer durchschnittlich gewachsenen Dreijährigen. Mitten auf den Bauch. Nachdem ich Greta von ihrer zwei Wochen alten Schwester heruntergeholt und mit ihr ordentlich geschimpft hatte, brach ich in Tränen aus. So war das also. So ging meine große Tochter mit ihrer kleinen Schwester um. Ob Lilli wohl innere Blutungen hatte? Carola sagte nur: "Ach, die halten schon was aus."
    Sie hat es ausgehalten. Auch die Bisse in die kleinen Finger, die kurz zuvor noch von Greta liebkost worden waren und auch die Kniffe und Hiebe, die noch folgen sollten.
    "Meine Lilli trinkt bei der Mama am Busen", erzählte Greta in der Kinderkrippe. "Meine Lillli hat noch gar keine Zähne. Mit Zähnen darf man nicht an Mamas Busen trinken", erklärte sie der Erzieherin. Wenn ich Lilli stillen wollte, rutschte Greta ganz eng an mich ran, drückte ein Buch auf ihre kleine Schwester und rief: "Kannst du mir vorlesen! Bitte! Mama!". Oder sie stellte sich auf die Sofalehne und versuchte, auf uns draufzuspringen.
    Irgendwann haben wir dann Aufkleber eingeführt. Ponys, Hunde und irgendwas mit Glitzer. "Du bekommst einen Aufkleber, Greta, wenn du den ganzen Tag lieb zur Lilli bist." Das half.
    Fast jeden Abend klebten wir nun mit feierlichem Tamtam einen Aufkleber auf ein Stück Papier, das in Gretas Kinderzimmer hing. Und irgendwann brauchte es die Aufkleber nicht mehr. "Krieg ich heute Abend einen Aufkleber?", fragt Greta manchmal. "Ich war heute immer lieb zur Lilli." "Ja," sagen wir dann und vergessen es oft.
    Morgens habe ich ein Ritual eingeführt. Greta und Lilli trinken zusammen ihre Flasche, während sie in Lillis Gitterbett liegen. Greta trinkt ganz schrecklich ungesunden Kakao aus der ganz schrecklich ungesunden Babyflasche und Lilli trinkt ihre Säuglingsmilch (auch furchtbar ungesund im Vergleich zu Muttermilch!). Eingeführt habe ich das Ritual aus purem Egoismus (aus demselben habe ich Lilli mit sieben Monaten abgestillt). Greta redet morgens gerne viel. Vor allem stellt sie viele schwierige Fragen. Und so sehr ich sie liebe, morgens ertrage ich mein Kind einfach nicht. Nicht vor einer Tasse Kaffee. Allein. In der Küche. Ohne Kinder.
    Seit Greta und Lilli morgens zusammen Flasche trinken, ist das möglich.
    Greta will, dass alles gleich ist bei ihr und Lilli. "Wir wollen den gleichen Sauger, Mama. Lilli und ich", sagt sie. "Den gleichen Sauger?", frage ich. "Sie meint, die gleiche Farbe bei dem Saugerring", ruft mein Mann aus dem Arbeitszimmer. "Aha," sage ich. Was tut man nicht alles für einen ungestörten Morgenkaffee. Aber es geht auch gleich weiter. "Wir wollen den gleichen Pullover anziehen", ruft Greta kurze Zeit später. Genau genommen einen Zeitungsartikel später. Den will nämlich ich. Morgens, wenn irgendwie möglich. Nach meinem unter widrigsten Umständen gelesenen Zeitungsartikel ist es meistens jedoch schon ein bisschen spät. Also schnell. Anziehen. Warum hat H&M eigentlich nicht die gleichen Klamotten für Mädchen zwischen 0 und 6 Jahren? Ein paar wenigstens. Pullover zum Beispiel! Gibt`s nicht. Immerhin begnügt sich Greta meistens mit der gleichen Farbe. Und da ist sie sogar relativ großzügig. Rot ist irgendwie ja auch rosa. Vielleicht ist sie farbenblind wie ihre Mama (Vgl. Spielplatz: Von schlecht gekleideten Kindern und kämpfenden Müttern).
    Seit einer Woche teilen sich die beiden Mädchen (Lilli ist mittlerweile 10 Monate und Greta dreieinhalb Jahre) ein Zimmer. Nachdem wir Lillis Gitterbett in Gretas Zimmer getragen hatten, traute ich mich zunächst nicht so richtig, Lilli auch hineinzulegen. Irgendwie befürchtete ich, dass die Kinder sich gegenseitig stören würden. Greta schreit mittags am Wochenende, wenn sie schlafen soll, immer gerne ein bisschen herum, bevor sie einschläft. Je müder sie ist, desto mehr ist sie der Meinung, dass man mittags auf keinen Fall schlafen sollte. Kaum hatte ich Lilli mit ins Elternschlafzimmer genommen, schon hörte ich schlimmes Gebrüll: "ICH WILL MEINE LILLI! MEINE LILLI! MEINE LILLI!" "Was ist denn los?", fragte ich, Lilli auf dem Arm ins Kinderzimmer tragend. Greta deutete auf das leere Gitterbett neben sich. "Ich will, dass da ein Mensch drin schläft! Ein kleiner Mensch! So klein wie Lilli! Ich will, dass da ein Mensch ist. Und nicht  nur ein Legomännchen."
    Und wirklich in Lillis Bett lag ein ganz kleines Legomännchen.
    Seit wir das Legomännchen durch Lilli ersetzt haben, schläft Greta besser. Jedenfalls haben wir viel seltener nächtlichen Besuch in unserem Bett.
    Insgesamt sind Greta und Lilli mittlerweile sehr glücklich miteinander. Meistens. Vorgestern hörte ich wieder einmal schlimmes Gebrüll aus dem Kinderzimmer. Lilli schrie. Laut und entrüstet. "Was ist los?", fragte ich Greta. "Wir haben Verstecken gespielt", antwortete meine Große. "Und warum weint Lilli dann?", fragte ich. "Ich habe ihr eine Schüssel über den Kopf gezogen, damit man sie nicht sehen kann", antwortete Greta.
    Manchmal aber umarmt Greta Lilli auch ganz fest. "Meine Lilli", sagt sie dann. Und: "Ich will immer bei meiner Lilli sein." Und manchmal lachen die beiden plötzlich zusammen. Ganz laut. Eine Dreijährige und ein Baby. Keiner weiß, warum. Nur die beiden. Richtige Schwestern eben.


    Dienstag, 18. März 2014

    Von Profimamas und Amateuren



    Sandkasten, Spielzeug, Schaufel, Sand, Urlaub, Plastik

    Es gibt Profimamas und Amateurmamas. Profimamas kommen schon schwer bepackt mit ihrer Brut und einigen Taschen zum Spielplatz. Kaum angekommen, werden die Kinder in die eigens dafür mitgebrachte Spielplatzkleidung (Matschhosen, dazu passende strapazierfähige und natürlich dem Wetter angepasste Jacken, gern auch farblich aufeinander abgestimmt bei Geschwistern) gehüllt, dann wird die Tüte mit dem Sandspielzeug neben dem Sandkasten platziert. Die Kinder, Träger klassischer Namen wie Julius und Isabella, erhalten nun ihr Spielzeug, wobei natürlich jedes noch so kleine Förmchen mit den Namen der Kinder versehen ist, damit auch ja nichts verwechselt wird oder verloren geht. Haben die Kinder ein wenig miteinander gespielt, ist selbstverständlich Zeit für einen kleinen gesunden Snack, den die wahren Profis zu Hause vorbereitet haben und der aus selbstgeschnippelten Apfelstückchen, gerne auch ein paar gewaschenen Weintrauben und einigen Karottenschnitzen besteht.
    Mein Kind kann da nur große Augen machen oder aber betteln gehen. So bin ich doch tatsächlich der Meinung, dass meine Tochter Greta die 600 Meter zum Spielplatz und die ein bis zwei Stunden, die wir dort verbringen, ohne selbstgeschnippelte Sonstwas aushalten könnte. Greta ist da anderer Meinung. Mit geübtem Blick scannt sie die am Spielplatzrand sitzenden Mamas und erkennt sofort, wenn irgendeine Profimama der obersten Kreisliga eine Tupperbox mit essbarem Inhalt aus ihrer Zaubertasche hervorholt. "Kann ich auch?", ist ihre allererste Frage. Und natürlich kann sie auch was haben. Klar aber auch, dass die Profimama mich mit einem gönnerhaften Blick versieht. Also habe ich meiner Tochter das Betteln verboten, aber sie schafft es mittlerweile so mitleiderregend auf die Tupperboxen zu blicken, dass eine Profimama ihr sofort etwas anbietet. Dann natürlich der obligatorische Seitenblick einer Mama aus der obersten Liga zu mir, offensichtliche Amateurmama.
    Meine Kinder sind nie farblich zueinander passend gekleidet. Schlimmer, die Kleidungsstücke für den Spielplatz passen farblich nicht einmal bei einem Kind, ganz zu schweigen davon, dass die Kleidungsstücke der beiden Mädchen, Gretas Schwester heißt Lilli, aufeinander abgestimmt wären. Greta besitzt nur eine einzige Matschhose und die ist rot. Ihre Jacken sind rosa oder rot oder was auch immer, so dass sie entweder aussieht wie ein kleiner Feuerwehrmann oder als wäre ihr Mama farbenblind.
    Unser Sandspielzeug ist schon nach der ersten Woche Spielplatz auf etwa die Hälfte des ursprünglichen Volumens geschrumpft. Beschriftet habe ich nämlich gar nichts und aus lauter Angst davor, einer Profimama das rosa Eisschäufelchen wegzunehmen, nehme ich im Zweifel lieber etwas nicht mit. Lustig ist es natürlich, wenn zwei Profimamas aufeinander treffen. Profimamas gehen mit ihren Kindern natürlich rechtzeitig nach Hause und nicht erst, wenn das eine Kind schon völlig übermüdet und rotzverschmiert und trotzig und hungrig ist und dann einen Wutanfall bekommt, wenn die Amateurmama versucht, es von der Rutsche zu ziehen. Und bevor Profimamas nach Hause gehen, sammeln sie noch schnell ihr selbst beschriftetes Sandspielzeug ein. Wehe, zwei Profimamas halten aber die gleiche Eisschaufel für die ihres Kindes.
    "Ist das nicht zufällig unsere?"
    "Da steht nichts drauf."
    "Ja, egal welchen Edding ich nehme, die Farbe geht immer ab. Das ist unsere Eisschaufel."
    "Nein, so eine hatten wir dabei. Und ich hab nichts draufgeschrieben. Das ist unsere."
    "Aber auf unserer Eisschaufel stand eben auch nichts mehr drauf. Emily, pack bitte schnell diese rosa Eisschaufel ein. Die gehört uns!"
    "Nein, die gehört ihnen nicht! Anton, das ist doch unsere Eisschaufel, die die Emily da einfach genommen hat."
    So geraten zwei erwachsende Damen mittleren Alters in erbitterte Wortgefechte über rosa Eisschäufelchen. Am liebsten würde man beiden Damen eine große Schaufel geben. Nicht damit der Streit beendet wäre. Aber vielleicht nähme er dann einen interessanten Verlauf.