Es stand alles
auf dem Poster. Löwenkinder sind temperamentvoll, wollen ihren Kopf
durchsetzen und lieben die Aufmerksamkeit eines großen Publikums. Niemand
kann sagen, ich wäre nicht frühzeitig gewarnt worden....
Als Greta noch in meinem Bauch war, nahm mich die Arzthelferin
in der Frauenarztpraxis mit zu einem großen Poster, auf dem die
Charaktereigenschaften der Sternzeichen aufgelistet waren.
"Sehen sie," sagte sie, "ihr Kind wird voraussichtlich am 11. Juli geboren. Das wird ein Krebs."
Ich
glaube nicht an Sternzeichen, las mir die Beschreibung des
Krebskindes aber durch.
Dann lachte ich und sagte: "Nein. Das Kind in meinem
Bauch ist kein Krebs. Zu diesem Kind passt die Beschreibung danach. Das
wird ein Löwe."
"Na, da müsste sie aber sehr spät kommen," sagte die Arzthelferin.
Mein Kind kam spät. Ganze zwölf Tage zu spät. Es war ein Löwe.
Greta
war ein sehr braves Baby. Eines von denen, die durchschlafen. Meine
beste Freundin sagte mir dazu am Telefon: "Ich habe nie geglaubt, dass
es sowas gibt, Babys, die durchschlafen. Aber du sagt eigentlich immer
die Wahrheit. Das gibt es also doch. Und dafür muss ich dich jetzt
leider hassen." Von meiner besten Freundin gehasst, dafür gesegnet mit
einem durchschlafenden Kind, kam ich durch die ersten 9 Monate Babyzeit,
ohne zu ahnen, was da noch auf mich zukommen würde.
Als aus Greta
langsam ein Kind wurde, setzte ich sie in sämtliche Babyschaukeln auf
umliegenden Spielplätzen. Es war Frühling, die Luft wurde wärmer und es war herrlich, mein Baby größer werden zu sehen. "Hutsch, heitsch!, " rief mein Mann, ein Österreicher, wenn
Greta auf der Schaukel saß. "Heiti, heiti", sagte Greta, sobald wir
einen Spielplatz betraten.
Sie liebte es, zu schaukeln. Warf die Arme in den Wind und lachte und lachte und lachte.
Und
eines Tages, da weinte mein Baby, als ich es aus der Schaukel ziehen
wollte. Weinen sollte mein Baby nicht, darum setzte ich es sofort wieder hinein. "Heiti, heiti".
Beim nächsten Spielplatzbesuch
jedoch weinte Greta noch ein bisschen mehr, als das Schaukeln aufhörte.
Sie strampelte wild mit den Beinen, ruderte mit den Armen in der Luft
und zeigte mir mit aller Kraft, dass sie noch schaukeln wollte. Die
Leute sahen schon zu uns herüber."Heiti, heiti." Hauptsache das Baby
hört auf, so laut zu weinen.
Beim nächsten Mal war es ein Kampf.
Greta schrie so laut, dass alle Mamas, Papa, Omas und Opas und alle
Kinder zu uns blickten. Sie strampelte wie wild mit den Beinen und es
war kaum noch möglich, sie aus der Schaukel zu ziehen.
Ich schämte mich und begriff.
Diesmal
gab es keine zweite Runde. Ich zog mein schreiendes Rumpelstilzchen aus
der Schaukel, steckte es in den Kinderwagen und machte mich auf den
Heimweg. Umgehend. Und Greta? Hatte sich, kaum, dass wir den Spielplatz
verlassen hatten, wieder beruhigt.
Etwa eineinhalb Jahre später der
Klassiker. Da gab es mal einen Werbespot mit einem tobenden Kind im
Supermarkt. "Kondome schützen", hieß es am Ende. Ich weiß nicht, ob der
echt war. Sehr lustig. Fand ich. Damals. Als ich noch kein Kind hatte.
Greta
wollte Strohhalme aus Schokolade. "Strohhalme aus Schokolade brauchen
wir nicht", sagte ich. "Doch!", sagte Greta. "Nein", sagte ich, "wir
haben Strohhalme zu Hause und Schokolade auch."
"Aber ich will
Strohhalme aus Schokolade!", rief Greta. Unbeirrt ging ich weiter zur
Kasse und legte die Waren auf das Band. "ICH WILL STROHHALME.
STROHHALME. AUS. SCHOKOLADE", schrie Greta immer wieder. Während ich weiter Waren aufs
Band legte, fragte ich mich, wie es zu dieser Situation kommen konnte.
Immerhin kannte ich den Werbespot. So etwas sollte
mir nicht passieren. Betteleien im Supermarkt hatte ich noch nie
nachgegeben. Aus Prinzip nicht. Immer an den Werbespot denkend nicht.
Doch
während ich noch nachdachte, hatte Greta bereits den Einkaufswagen der
Dame vor uns erklommen, krallte sich daran fest und schrie: "ICH WILL
STROHHALME. STROHHALME. AUS. SCHOKOLADE".
Hinter mir begannen die
Leute zu tuscheln. Die Dame sah mich an. Ihr Blick war eindeutig:
"Nehmen sie das schreiende Kind von meinem Einkaufswagen!" Ich versuchte
Greta vom Einkaufswagen loszureißen. "STROHHALME. AUS. SCHOKOLADE",
rief sie, und krallte sich am Einkaufwagen fest.
Endlich hatte ich
die Dame vor uns von meiner schreienden Tochter befreit, da hatte ich
schon das nächste Problem. Die Einkäufe liefen weiter und weiter auf dem
Band, das Kind tobte in meinen Armen und die Kassiererin wartete
ungeduldig darauf, dass ich bezahlte.
Ich weiß nicht
mehr, wie ich es geschafft habe, jedenfalls packte ich trotz
tobendem Kind im Arm alles in meine Einkaufstasche, zahlte und bewegte mich schnellstmöglich
Richtung Ausgang.
"Nur weg!", dachte ich. Weg von all den starrenden Menschen. An einen Ort, wo Greta wieder zur Ruhe kommen kann. Und ich auch.
Doch
kurz vor dem Ausgang drehte ich mich noch einmal um. Ich hörte, wie
eine Dame zu einem anderen Kunden sagte: "Diese jungen Eltern sind doch
völlig überfordert heutzutage. Keine Konsequenz! Ich hatte vier Kinder.
So etwas ist mir nicht passiert!"
Die richtige Entgegnung ist mir
in diesem Moment nicht eingefallen. Ich fragte mich nur, was an meinem
Verhalten inkonsequent gewesen war.
Später, als mein Kind wieder wie ein Engel aussah und in seinem Bett
schlummerte, fiel mir dann
eine Antwort ein: "Wenn sie vier Kinder hatten, wird es ihnen sicherlich ein Leichtes sein, dieses hier zu
beruhigen."
Die Sache hat natürlich einen Haken. Ich liebe mein Kind und würde es in so einer Situation keiner Fremden in den Arm drücken.
Ich
habe dazu gelernt. Nicht, dass ich jetzt wüsste, wie man ein Kind
beruhigt, das einen Trotzanfall hat, oder besser noch, wie man
Trotzanfälle grundsätzlich verhindert. Nein, das nicht. Meine Freundin
muss mich nicht wieder hassen.
Gelernt habe ich, dass ein
Trotzanfall bei meiner Tochter 15 Minuten dauert. Man kann beruhigend
auf sie einreden. Man kann versuchen, sie dabei zu umarmen, sie
festzuhalten. Man kann ihr drohen. Oder man macht nichts. Ganz egal. Das
Ganze dauert 15 Minuten. Es ist wie ein Gewitter. Ein Trotzanfall
deutet sich durch kleine Vorzeichen an. Er kommt. Er dauert 15 Minuten.
Es geht vorbei. Und dann ist wieder alles so, als wäre nie etwas
gewesen. Am kräfteschonendsten ist es, als Mutter nichts zu tun außer zu
verhindern, dass das Kind sich selbst verletzt.
Mitten in der
Stadt hat es sich bewährt, Greta während eines Trotzanfalls auf ein
Fenstersims zu setzen. Sie kann dann nicht in ein Auto laufen. Und vor gutmeinenden alten Damen ist das Fenstersims auch ein gewisser Schutz.
Wenn Greta auf einem Fensterbrett herumtobt, sieht das so lustig aus,
dass die Damen meist einfach nur lächeln und an uns vorbeigehen. Die
beste Reaktion übrigens: "Nicht stehenbleiben. Nicht gucken. Einfach
vorbeigehen." Bitte liebe Leser, geht das nächste Mal einfach weiter,
wenn ihr uns seht!
Leider gibt es nicht überall in der Stadt
Fensterbretter in geeigneter Höhe. Als Greta letztens ein ganz und gar
falsches Eis von mir gekauft bekam, war kein Fensterbrett in der Nähe.
Dafür zwei Straßencafes nebeneinander. Voll besetzt, bei strahlendem
Sonnenschein. Davor: ein großer Platz. Auf dem Platz: eine
Touristengruppe. Amerikaner, die mit Kopfhörern auf ihren Ohren durch
unsere kleine Stadt geführt werden.
Es war perfekt. Meine Tochter hat ein Gespür für so etwas. Das perfekte Publikum. Die perfekte Bühne.
"Mein
Eis geht nicht", sagte Greta und blickte mich traurig an. "Was ist denn los, mit deinem Eis?",
fragte ich. Die Sonne schien, ich war bester Laune. Was sollte
auch los sein mit einem Eis?
"Mein Eis geht nicht bis zum Boden. Ich will ein neues Eis", weinte Greta.
"Bis
zum Boden?", fragte ich Greta und ging auf
Augenhöhe meines Kindes. Völlig verzweifelt ob meiner Begriffsstutzigkeit,
zeigte mir Greta die Waffel und die kleine Kugel Eis darin. Jetzt
verstand ich. Greta fand, dass zu wenig Eis in ihrer Waffel war. "Oh",
rief ich, "dein Eis geht nicht bis zum Boden. Na dann iss erst mal das
Eis und wenn es dann wirklich zu wenig ist, dann kaufen wir halt noch
eins."
Das hilft. Wenn mein Kind Sorge hat, das Essen könne nicht
reichen, muss man nur ankündigen, es gäbe noch Nachschub, dann isst es
und hat anschließend keinen Hunger mehr.
Diesmal half es nicht.
"Mein
Eis geht nicht!", rief Greta wieder. Laut. Und jetzt war mir klar, dass
die ersten Gewitterregentropfen schon gefallen waren. "MEIN EIS GEHT
NICHT BIS ZUM BODEN. ICH WILL EIN NEUES EIS!"
Das Gewitter hatte
begonnen. Ich atmete tief durch und versuchte alle Blicke zu ignorieren.
Die Mütter mit den fröhlichen Kindern im Cafe, die Studenten, die
älteren Damen mit den kleinen Hunden, die Herren, die genervt von ihrer
Zeitung aufblickten. Die Amerikaner, die trotz ihrer Kopfhörer auf den
Ohren, mein Kind zu bemerken schienen. Ich wusste, es war kein guter Ort
für das, was folgen würde. Nicht für mich.
Und ich wusste, es würde 15 Minuten dauern. Dann wäre es vorbei.
Ich irrte.
Greta
tobte 15 Minuten lang vor allen Müttern, Studenten, älteren Damen,
Herren mit Zeitungen und Amerikanern. Das Publikum schien begeistert zu sein. Alle blickten auf Greta.
Und
obwohl keiner Eintritt gezahlt hatte, gab Greta eine Extravorstellung. Mit Zugabe. Nach weiteren fünf Minuten Tobsuchtsanfall, nahm ich
endlich mein Kind auf den Arm und trug es um die Ecke. "Wenigstens
weniger Publikum", dachte ich.
Vielleicht sollte ich beginnen, mich mit Astrologie zu beschäftigen.